In seiner heutigen, 2. Folge zweigen wir auf, wie eine differenzierte Lagerdauer von Produktionsunternehmen sowie Dienstleistungsunternehmen berechnet werden kann.
Lassen Sie uns, meine sehr geehrten Damen und Herren, zunächst auf die letzte Folge zurückkommen. Im Rahmen unserer Reihe, in der wir wesentliche Bilanzkennzahlen beschreiben, haben wir die Kennzahl Lagerdauer vorgestellt. Wir führten aus, dass diese Lagerdauer bei Handelsunternehmen hohe Aussagekraft besitzt. Da sich das Vorratsvermögen bei Produktionsunternehmen allerdings aus den Komponenten RHB-Stoffe sowie unfertige und fertige Arbeiten zusammensetzt, sollte hier differenziert vorgegangen werden. Es empfiehlt sich, eine separate Lagerdauer sowohl für die RHB-Stoffe als auch für die unfertigen und fertigen Arbeiten zu berechnen.
Bei der Betrachtung der RHB-Stoffe kann die bereits erläuterte Prämisse, dass die RHB-Stoffe ausschließlich aus dem Materialaufwand resultieren können, weiterhin aufrechterhalten werden. Anders verhält es sich bei den unfertigen und fertigen Arbeiten. Lassen Sie uns gedanklich einmal ein Bauunternehmen thematisieren, welches Rohbauten erstellt. Die Wertschöpfung eines Rohbaus liegt nur zum Teil in den verbauten Steinen sowie dem angebrachten Beton. Ein wesentlicher Teil der Wertschöpfung wurde aus der Personalleistung erbracht. Es ist daher nur folgerichtig, dass das HGB eine Bewertung der unfertigen und fertigen Leistungen zu Herstellkosten vorsieht, die sich wiederum genau aus diesen beiden Komponenten (Materialleistung sowie Personalleistung) zusammensetzen.
Wird nun das Vorratsvermögen ausschließlich im Rahmen der Betrachtung der Kennzahl Lagerdauer durch den Materialaufwand dividiert, so fehlt im Nenner eine wesentliche Bezugsgröße, nämlich die Personalleistung.
Aufgrund dieser Problematik empfiehlt es sich, bei Produktionsunternehmen zwei differenzierte Lagerdauern zu berechnen, die wiederum unterschiedlich zu interpretieren sind:
Lagerdauer für die RHB-Stoffe
Betriebswirtschaftlich sinnvoll wäre hier folgende Definition:
Diese Lagerdauer gibt eine gute Indikation darüber ab, wie hoch die Kapitalbindung in den Rohstoffen ist. Natürlich sind auch bei dieser Definition betriebswirtschaftliche Schwächen vorhanden, die es zu berücksichtigen gilt. Streng genommen dürfte im Nenner nicht der gesamte Materialaufwand inkl. Fremdleistungen, sondern lediglich der Materialaufwand ohne Fremdleistungen angesetzt werden. Eine weitere Unschärfe besteht sicherlich darin, dass ein Großteil des Materials direkt für den Herstellprozess und damit für die unfertigen und fertigen Leistungen erworben und in der Produktion angesetzt wird, wodurch sich ein vergleichsweise hoher Nenner und damit Divisor ergibt. Die Lagerdauer dürfte zwangsläufig klein und übersichtlich ausfallen.
Lagerdauer der unfertigen und fertigen Erzeugnisse
Wie bereits ausgeführt, resultiert die Wertschöpfung eines Produktionsunternehmens sowohl aus dem verbauten Material, aber insbesondere aus der Personalleistung. Die Addition beider Größen (Materialleistung und Personalleistung) stellt letztendlich die rechnerische Gesamtleistung dar. Vor diesem Hintergrund ist es nur konsequent, die unfertigen und fertigen Arbeiten in der Bilanz auch in Relation zur Gesamtleistung zu betrachten. Hieraus resultiert folgende betriebswirtschaftlich sinnvolle Lagerdauer:
Diese Lagerdauer kann oftmals mit einer deutlichen Projektlaufzeit „übersetzt“ werden. Grundsätzlich gilt auch hier: Je höher die Lagerdauer der unfertigen und fertigen Arbeiten ist, desto größer stellt sich die Kapitalbindung eines Unternehmens dar. Eine hohe, steigende Lagerdauer ist sicherlich oftmals durch eine zunehmende Auftrags-/Projektgröße begründet. Sie kann aber auch eine Indikation dafür sein, dass sich in den aktivierten unfertigen und fertigen Arbeiten bilanzielle Risiken verbergen, die beispielsweise aus Stockungen des Projektverlaufs oder aber Bewertungsunsicherheiten/Überbewertung resultieren.
Lagerdauer bei Dienstleistungsunternehmen
Auch bei einem Dienstleistungsunternehmen ist die allgemein gebräuchliche Lagerdauer (Vorräte ÷ Materialaufwand x 360) nicht zielführend. Auch wenn es im ersten Moment etwas erstaunlich klingen mag: Auch große Dienstleistungsunternehmen, wie beispielsweise Steuerberatungsgesellschaften, Ingenieurbüros, Statikbüros oder Unternehmensberatungen, weisen immer dann unfertige und fertige Arbeiten aus, wenn sie eine Leistung erbracht haben, aber diese noch nicht abrechnen konnten. Diese unfertigen und fertigen Arbeiten resultieren sicherlich nicht aus einer Materialleistung, sondern nahezu ausschließlich aus der Arbeitsleistung. Eine Division der unfertigen und fertigen Leistungen durch den nur sehr geringen Materialaufwand (dort wiederum weitestgehend nur Fremdleistungen) würde zwangsläufig zu utopisch hohen Lagerdauern führen. Vor diesem Hintergrund soll die Lagerdauer wie folgt modifiziert werden:
Auch diese Lagerdauer ist dann wie eine durchschnittliche Projektlaufzeit zu interpretieren.
Fazit:
Die Lagerdauer stellt eine wichtige Indikation in der Bilanzanalyse dar, um sowohl die Höhe der Kapitalbindung der Vorräte als auch ggf. den Risikogehalt dieser Bilanzposition feststellen zu können. Da bei der „einfachen“ Betrachtung der Lagerdauer die Vorräte lediglich in Relation zum Materialaufwand gesetzt werden, sollte aber bei Produktionsunternehmen und vor allem bei Dienstleistungsunternehmen eine separate Lagerdauer mit bonifizierter Berechnung abgeleitet werden.