In der letzten Folge haben wir die Bilanzkennzahl Kreditorenlaufzeit vorgestellt. Wir führten u.a. aus, dass sich diese Kennzahl gut eignet, die Liquiditätslage des Unternehmens zu beurteilen. Heute möchten wir auf Interpretationsfallen und Unschärfen bei der Beurteilung diese Kennzahl eingehen.
Interpretationsfallen sowie Unschärfen bei der Kreditorenlaufzeit
Immer dann, meine sehr geehrten Damen und Herren, wenn ein Stichtagssaldo für die Interpretation von Bilanzdaten herangezogen wird, basiert die Interpretation ausschließlich auf dem Saldo, der an diesem Tag vorhanden war. Sollte ein Unternehmen also Anfang Januar noch nennenswerte Rechnungen erhalten, die das alte Jahr betreffen, so werden diese auch als Verbindlichkeiten aus Lieferungen und Leistungen im alten Jahr erfasst. Selbst wenn die finanzielle Potenz des Unternehmens eine prompte Begleichung der Rechnungen ermöglicht hätte, so konnten diese zwangsläufig im alten Jahr noch gar nicht bezahlt werden, da der Rechnungseingang erst im neuen Jahr erfolgte.
Eine weitere Unschärfe besteht – wie bei den Debitoren – bei der Umsatzsteuer. Bei den Kreditoren (wie auch bei den Debitoren) handelt es sich um Bruttopositionen, die durch den Materialaufwand, d. h. eine Nettoposition, dividiert wird. Die rechnerische Laufzeit ist folglich um die Umsatzsteuer verzerrt. Anders ausgedrückt: Eine Bereinigung der Kennzahl um die Umsatzsteuer, d. h. eine reine Betrachtung von Nettowerten, würde zwangsläufig auch zu einer geringeren Laufzeit führen. Eine um die Umsatzsteuer bereinigte Kennzahl ließe sich wie folgt ableiten:
Für die Betrachtung der Zahlungsmoral eines Unternehmens im Trendverlauf ist die Eliminierung der Umsatzsteuer irrelevant. Anders sieht es aber aus, wenn mit der Laufzeit eine höhere Trefferquote mit der Realität, d. h. eine belastbare Aussage über das tatsächliche Zahlungsverhalten eines Unternehmens erzielt werden soll. Gerade dann ist eine Eliminierung der Umsatzsteuer betriebswirtschaftlich sinnvoll.
Wie ist die Kreditorenlaufzeit zu interpretieren?
Die grundsätzliche Aussage, dass hohe, steigende Laufzeiten ein Indikator für eine schlechte Liquiditätssituation sein könnten, haben wir bereits erläutert. In der betriebswirtschaftlichen Praxis werden Laufzeiten unter 30 Tagen in aller Regel als sehr positiv, Laufzeiten über 60 Tage als negativ angesehen.
Hohe Kreditorenlaufzeiten können daher als Indikator für eine schlechte Zahlungsmoral angesehen werden.
Aber: Stellen Sie Ihr Urteil niemals auf eine einzelne Kennzahl ab. Versuchen Sie immer, eine isolierte Indikation in einen Gesamtkontext zum betrachteten Fall zu bringen. Wenn ein Unternehmen beispielsweise über eine sehr hohe Liquidität verfügt, seit Jahren eine gute Rentabilität ausweist sowie keinerlei kurzfristige Bankverbindlichkeiten vorhanden sind, dann dürfte eine hohe Kreditorenlaufzeit kaum ein Indikator für Zahlungsschwierigkeiten sein. Der genannte Gesamtkontext spricht eher dafür, dass das Unternehmen über eine hohe Marktmacht verfügt bei seinen Lieferanten lange Zahlungsziele vereinbaren zu können. Dies würde eher für eine Bonitätsstärke als für eine Bonitätsschwäche sprechen.
Verifizieren Sie zudem die berechnete Kennzahl durch einen Blick in die Offene Postenliste des Unternehmens. Aus dieser OP-Liste können Sie dezidiert für jede Rechnung die jeweilige Fälligkeit entnehmen. Sollten die Fälligkeiten und damit das Zahlungsziel in etwa mit der Kreditorenlaufzeit übereinstimmen, dann ist alles in Butter.
Bilanzanalytisch kritisch sind in aller Regel die Fälle zu beurteilen, bei denen die rechnerische Kreditorenlaufzeit sehr hoch ist und Sie zudem mit Hilfe der OP-Liste feststellen können, dass bei einem Großteil der Rechnungen die Fälligkeit bereits eingetreten ist, die Rechnungen folglich als überfällig angesehen werden müssen. Dies würde auf einen statischen Finanzbedarf bei den Kreditoren hindeuten, der aus überzogenen, d. h. nicht termingerecht bezahlten Lieferantenrechnungen, resultiert. Mit Hilfe der sogenannten Kapitalbindung pro Tag kann dieser dann auch grob abgeschätzt werden.