In der letzten Folge haben wir die Bilanzkennzahl „dynamischer Verschuldungsgrad“ vorgestellt und die Grundlogik dieser Kennzahl erläutert. In der heutigen Folge erfahren Sie, wie der dynamische Verschuldungsgrad nun zu interpretieren ist. Zudem werden wir eine abschließende Bewertung dieser Kennzahl vornehmen.
Interpretation des dynamischen Verschulungsgrades
Betrachten Sie nun noch einmal die von uns als zweite Definition vorgestellte Berechnung des dynamischen Verschuldungsgrades. Hier wurde das Fremdkapital einfach durch den Cashflow dividiert.
Der Begriff Verschuldungsgrad ist hier etwas irreführend, denn: Der aus dieser Definition resultierende Wert zeigt keinen Prozentwert und damit Grad, sondern eine absolute Zahl an. Diese Zahl visualisiert die theoretische Rückführungs-/Tilgungsdauer in Jahren.
Ein dynamischer Verschuldungsgrad von 2 würde bedeuten, dass wenn der theoretische Kapitalrückfluss (Cashflow) ausschließlich zur Rückführung des Fremdkapitals verwendet würde, dass dann ein Unternehmen seine Verbindlichkeiten in 2 Jahren zurückführen könnte.
Die Grundaussage dieser Kennzahl lautet folglich: Je kleiner die Zahl ist bzw. im Trendverlauf je kleiner der Wert wird, desto besser ist die Relation zwischen Fremdkapital und Cashflow und desto finanzstärker ist das Unternehmen (bezogen auf die Kennzahl) einzuschätzen.
Sollten Sie eher die erste Definition (Grad) präferieren, so gilt die Aussage analog. Je kleiner die Prozentzahl ist bzw. sich im Trendverlauf entwickelt, desto geringer ist die Verschuldung in Relation zum Cashflow und desto besser ist die Finanzkraft des Unternehmens zu bewerten.
Interpretationsfallen und Tücken
Natürlich hat auch diese Kennzahl – wie alle Kennzahlen –ihre Tücken.
Zu nennen sind hier u. a. folgende Aspekte:
- Keine Berücksichtigung der Fristigkeit des Fremdkapitals
Neben der Tatsache, dass auch die Verschuldung eines Unternehmens stichtagsbezogen verzerrt sein kann, differenziert der dynamische Verschuldungsgrad nicht nach der Fristigkeit der Verschuldung.
Ob sich beispielweise das Fremdkapital primär aus langfristigen Bankdarlehen oder primär aus einer kurzfristigen Kontokorrentinanspruchnahme in Kombination mit einer hohen Lieferantenverschuldung zusammensetzt, ist für die Berechnung der Kennzahl irrelevant. Betriebswirtschaftlich können solche Aspekte durchaus aber eine hohe Relevanz haben.
- Prämisse „Cashflow = Cash“
Bei dem Cashflow wird gedanklich unterstellt, dass dieser theoretische Mittelzufluss auch tatsächlich in Cash fließt. Wir haben bereits in mehreren Beiträgen darauf hingewiesen, dass Cashflow nun mal nicht automatisch mit Cash gleichgesetzt werden kann. Wenn beispielsweise ein hoher Cashflow durch die Produktion auf Lager erzielt wird, dann kann dies auch zu einem geringen, d. h. guten dynamischen Verschuldungsgrad führen. Liquiditätsseitig müsste hier aber argumentiert werden, dass – trotz eines positiven Verlaufs der Kennzahl – die Liquiditätsressourcen eines Unternehmens einmal stärker beansprucht werden, da die Produktion auf Lager Kapital bindet, aber nicht Kapital freisetzt.
- Das Problem des „Free-Cashflows“
Eine der wesentlichsten Kritikpunkte dieser Kennzahl dürfte darin liegen, dass bei den o. a. Berechnungsmodi jeweils suggeriert wird, dass der gesamte Cashflow auch zur Rückführung des Fremdkapitals zur Verfügung steht. Diese Prämisse ist so in der Praxis in aller Regel nicht haltbar.
Denn: Aus dem Cashflow sind auch Positionen, wie Ersatzinvestitionen, Steuerzahlungen (EE-Steuern) sowie Privatentnahmen/ Ausschüttungen zu tätigen. Wenn beispielsweise die Unternehmenseigner eine hohe Kapitalausschüttung vornehmen, so mögen diese Beträge zwar aus dem Cashflow erwirtschaftet worden sein.
Unstrittig dürfte aber sein, dass dieser Ausschüttungsbetrag nicht parallel nochmals zur Rückführung der Verbindlichkeit verwendet werden kann. Die Berechnung des dynamischen Verschuldungsgrades mit dem o. a. Quotienten ignoriert diesen (und andere Umstände) gänzlich.
Ob und in welcher Höhe Ausschüttungen bzw. Entnahmen getätigt werden, hat auf die Rechentechnik des dynamischen Verschuldungsgrades so zunächst keinen Einfluss.
Abschließende Beurteilung
Auch wenn der dynamische Verschuldungsgrad seine Schwächen hat und sicherlich nicht mit der echten Rückzahlungsdauer der Verbindlichkeiten gleichzusetzen ist, gibt er im Trendverlauf über mehrere Jahre eine gute Indikation darauf ab, wie sich das Verhältnis von Fremdkapital und Cashflow entwickelt.
Ob Sie nun eher die Berechnung als Jahresindex (Anzahl an Jahren) oder als Prozentwert (Grad) präferieren, ist reine „Geschmackssache“.
Bei nicht sehr anlagelastigen Unternehmen werden rechnerische Werte (in Jahren) von <= 5 Jahren bis max. 10 Jahren, bei anlagelastigen Unternehmen rechnerische Werte von 10 bis max. 20 Jahren in der Regel als positiv eingestuft.