Erinnern Sie sich noch an den letzten Beitrag? Ich berichtete Ihnen von einer Betriebsversammlung, in der die Mitarbeiter über die aktuelle Situation vollumfänglich informiert werden sollten. Die Unternehmensleitung hat große Sorgen, dass dies der Todesstoß des Unternehmens sein könnte. Nach einer kurzen Einführung durch die Geschäftsleitung wurde mir das Wort erteilt. Genau damit hatte ich gerechnet. Der Ball lag in meinem Spielfeld.
Ich stellte die wirtschaftliche Situation dar aber auch die bestehenden Perspektiven und Potenziale, die im Unternehmen vorhanden waren.
Ich kam dann auf das Thema Liquidität zu sprechen. Da die Mitarbeiter teilweise kein Material mehr von den Lieferanten erhalten hatten, waren sie sowie durch die tägliche Praxis perfekt über die Liquiditätslage informiert. Allein dieser Faktor war von der Geschäftsführung im Vorfeld völlig unterschätzt worden.
Ich erläuterte den aktuellen Verhandlungsstand mit den Hausbanken, aber auch mit zwei ausgewählten Lieferanten und erwähnte, dass der Ausgang offen war.
Zwar bestand die Chance darauf, weitere Liquiditätsressourcen kurzfristig erschließen zu können. Aber. Es war eine Chance, mehr aber auch nicht. Sicher war gar nichts.
Ich sprach dann das Thema Lohnrückstände aktiv an. Zwar sind die Löhne und Gehälter bei einer Insolvenz bis zu einem Rückstand von drei Monaten abgesichert; aber: Viele Mitarbeiter waren dringend auf die monatlichen Lohnzahlungen angewiesen.
Meine Ausführungen beendete ich mit folgenden Worten:
Es besteht eine begründete Hoffnung darauf, kurzfristig Rückstände begleichen zu können (unabhängig von einem Insolvenzausfallgeld) und mit den Gläubigern eine Stabilisierung der finanziellen Situation zu vereinbaren.
Garantien hierfür kann ich nicht geben, die Geschäftsleitung auch nicht.
Ich habe daher volles Verständnis, wenn Sie ab morgen nicht mehr zur Arbeit erscheinen, denn Ihre finanzielle Situation ist uns mehr als bewusst. Dass Sie ihren Lohn nicht erhalten haben, hat nichts mit „nicht wollen“ sondern mit „nicht können“ zu tun.
Eines möchte ich hinzufügen: Wenn der größte Teil von Ihnen morgen nicht mehr zur Arbeit kommt, dann kann ich das persönlich nachvollziehen. Die Chance, das Unternehmen zu restrukturieren und damit die Arbeitsplätze zu erhalten, ist damit dann endgültig vergeben. Die Entscheidung liegt bei Ihnen.“
Und wie war die Reaktion der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter?
Was glauben Sie, wie die Geschäftsführung reagiert hat? Der Blick sank auf den Boden, es wurde kein Wort gesagt. Im Versammlungsraum konnten Sie die berühmte Stecknadel fallen hören.
Abschließend bedankte ich mich für das Kommen und fügte noch einmal hinzu, dass meine Worte zwar nicht befriedigend, aber dafür sehr ehrlich waren.
„Egal, wie sich der Einzelne entscheidet, ich/wir können die Entscheidungen in beide Richtungen jetzt bereits nachvollziehen.“
Darf ich den Ball nun, meine sehr verehrten Damen und Herren, in Ihre Richtung werfen.
Die Belegschaft bestand aus rund 35 Damen und Herren. Schätzen Sie einmal, wie viele am anderen Tag zur Arbeit erschienen?
Wahrscheinlich haben Sie bereits bei der Frage bzw. an meiner Stimmlage die Antwort geahnt?
Von 35 Damen und Herren kamen 32. Nahezu die gesamte Belegschaft hielt dem Unternehmen die Treue.
Der Grund für diese eindeutig positive Reaktion war einfach.
Man hat mir abgenommen, dass meine Worte zwar unbequem und unbefriedigend aber ehrlich und offen waren. Die Glaubwürdigkeit konnte ich herstellen.
Und wie ging es weiter?
Auch die Geschäftsführung hat dies zum Anlass genommen, das gesamte künftige Kommunikationsverhalten zu überdenken.
Als Nachgang: Wir haben das Unternehmen tatsächlich restrukturieren können.
Die Hausbanken haben nach zähen Verhandlungen den notwendigen Kapitalbedarf bereitgestellt. Die Kreditoren haben weitere Lieferungen ermöglicht und ein Großteil der Altverbindlichkeiten in Stundungsvereinbarungen transferiert.
Unser Mandant ist heute noch am Markt tätig.
Sicherlich lag dies nicht nur an den vielen Restrukturierungsmaßnahmen. Auch ein Quäntchen Glück war notwendig.
Dennoch: Wenn wir die Betriebsversammlung nicht mit dieser Offenheit durchgeführt hätten, dann wäre es um das Unternehmen geschehen gewesen, denn: Ohne Mitarbeiter kann kein Unternehmen überleben.
Unser Fazit: Eine gute, offene Kommunikation hat einen wesentlichen Einfluss auf den Erfolg eines jeden Unternehmens.
Und dies hat nichts mit Krisenfällen zu tun.
Unser Tipp: Auch eine gute rhetorische Kompetenz ist nicht zu unterschätzen. Nutzen Sie regelmäßige Gespräche, die bestehenden Strukturen zu überdenken und den eingeschlagenen Kurs zu korrigieren am besten, bevor der Vollbrand eingetreten ist.
Vorbeugender Brandschutz ist einfach schöner und effektiver, finden Sie nicht?