Im heutigen dritten Beitrag zum Thema einer progressiven Bilanzpolitik möchten wir uns dem „Erkenntnisproblem“ widmen.
Die Schwierigkeit besteht nun darin, für einen externen Leser von Jahresabschlüssen diese bilanzpolitischen Effekte zu erkennen, deren Tragweite zu bewerten und diese bei der Bewertung der operativen Ertragsentwicklung zu eliminieren.
Der Anhang „machts“
Die klassische Bilanzanalyse sagt: Lese zuerst den Anhang und interpretiere dann die Zahlen.
Grundsätzlich stimmen wir dieser Aussage zu, aber: Gerade die kleinen mittelständischen Unternehmen sind nicht verpflichtet, einen ausführlichen Anhang zu erstellen und gerade dann, wenn ein Unternehmen seine Bonität optisch verbessern möchte, wird es kein Interesse daran haben, den geneigten Leser auf die durchgeführten, rein bilanzpolitisch bedingten Verbesserungen „mit der Nase“ zu stoßen.
Diese Effekte in der Praxis zu erkennen und deren Höhe grob zu quantifizieren, das ist unserer Ansicht nach eine der ganz großen Herausforderungen einer professionellen Bilanzanalyse.
Eine Wenn-dann-Auswertung reicht nicht immer.
Standardisierte Betrachtungen im Sinne einer „Wenn-dann-Auswertung“ können sehr schnell ausgetrickst werden. Dies soll das folgende Beispiel verdeutlichen.
Unterstellt sei im Folgenden, dass ein Unternehmen Rückstellungen mit der „formalen Begründung“ auflöst, dass der Grund für die Rückstellungen entfallen sei. Der klassische Buchungssatz hierzu wäre:
Per Rückstellungen an Erlöse aus der Auflösung von Rückstellungen 100 T€.
Im Rahmen einer standardisierten Betrachtung ist dieses GuV-Konto „Erlöse aus Auflösungen von Rückstellungen“ als „bilanzpolitisch motivierter Ertrag“ gekennzeichnet. Folglich würde die hieraus resultierende Ertragsverbesserung standardisiert als nicht dem originären Geschäft zugerechnet gekennzeichnet und damit für eine Ermittlung des Cashflows sowie einer Verifizierung der nachhaltigen Kapitaldienstfähigkeit schlicht eliminiert. Der vom Unternehmen gewünschte Effekt, die Bonitätseinschätzung bei der Hausbank im gewünschten Sinne zu beeinflussen, würde folglich ins Leere laufen.
Kreative Buchführung
Gänzlich anders stellt sich die Situation dar, wenn die Rückstellungen zwar auch bilanzpolitisch motiviert aufgelöst würden, aber ein anderes Gegenkonto verwendet würde. Ein Buchungssatz könnte beispielswiese lauten:
Per Rückstellungen 100 T€ an Materialaufwand 30 T€
an Personalaufwand 50 T€
an sonstiger Aufwand 20 T€.
Das Ergebnis würde zwar nun in gleicher Höhe um 100 T€ positiv beeinflusst, aber: Der Ertragseffekt kommt nun dadurch zustande, dass drei verschiedene Aufwandspositionen aufgrund der Auflösung der Rückstellungen optisch reduziert werden.
Ohne eine entsprechende Kommentierung kann dies von einem externen Dritten praktisch nicht erkannt werden. Die Ergebnisverbesserung würde folglich aller Wahrscheinlichkeit nach nicht eliminiert. Die Bonitätseinschätzung des Unternehmens würde sich folglich aus Sicht der Hausbank verbessern.
Und: Welches Unternehmen mit einer schwachen Bonität, meine sehr geehrten Damen und Herren, welches sich seinen Gläubigern oder Kapitaleignern besser darstellen möchte, würde offen sagen: Schaut mal….dies und jenes wurde von nur „getrixt“, um extra für Euch einen hübschen Augenschein zu erreichen……
Unser Fazit
Die Möglichkeiten, bilanzpolitische Effekte zu verstecken, sind vielfältig.
Das aktuelle, schwierige wirtschaftliche Umfeld wird gerade bei schwachen Bonitäten dazu führen, verstärkt eine progressive Bilanzpolitik zu betreiben, um die Ertragsmisere externen Dritten zumindest für einen gewissen Zeitraum zu verschleiern. Dies zu erkennen, dürfte gerade in der jetzigen Situation eine der ganz großen Herausforderungen, insbesondere für die Banken und Sparkassen, bei der Bonitätsbeurteilung sowie Beurteilung der nachhaltigen Kapitaldienstfähigkeitsberechnung sein. Ein rein standardisiertes Verfahren greift hierfür deutlich zu kurz.